Jetzt, mit fast 50 (also eigentlich TOT) beginne ich zu begreifen, wie sehr der Punk mein Leben geprägt hat. Die Ironie dabei ist, dass ich mich dieser Bewegung nie wirklich zugehörig empfunden habe. GEFÜHLT war ich allenfalls ein Sympathisant, ich hörte (neben vielem anderen Zeugs) die Ramones, Ärzte, später Beasty Boys.
Gestern sagte meine Mutter zu mir, als wir über meine erste Freundin sprachen, wir wären halt rein äußerlich so ein wenig Hippie gewesen und sie hat natürlich wie immer recht. Wildes lockiges Haar, zerrissene Jeans, Anarchieaufnäher auf der Jacke, die zertretenen Sneakers und das bescheuerte, aber leider verdammt kuschelige Palästinensertuch und der Button mit der Friedenstaube. Wir waren harmlos, phasenweise engagiert, aber immer gegen was. Nicht gegen meine Eltern, wie viele Generationen vor mir, das wäre auch unsinnig gewesen, sondern gleich viel größer, logo. Einfach gegen „das System“, das uns ja eigentlich schon längst besiegt hatte. Ein Umstand, der uns mutlos machte, rotzig, stolz und widerwillig. Immer auf der Hut, idealistisch, selten konstruktiv, dann bald (dank Computertechnologie) glücklich, im Rausch, eskapistisch.
Wir wechselten die Spielfelder und alles was nach Ehrgeiz und Anstrengung aussah, fanden wir blöd und wir waren, glaube ich, sehr froh, als uns die Neunziger mit der Popkultur des Cool und Uncool lässig die Hand reichte. Unser Unwohlsein an der Welt wurde dadurch glamouröser, ausschweifender, fröhlicher, differenzierter. Heute scheint es mir, als hätte ich damit den Punk in mir kultiviert, so wie man eben versucht, aus zwei wilden Obstsorten eine Wohlschmeckende zu schaffen. Ich denke, es hat auch irgendwie geklappt, ich habe funktioniert und süße Früchte geerntet und darüber dann vergessen, dass die Kraft, die sie mir gaben, nicht aus dem Pop stammte und meine ironisch-gebrochenen Bemühungen, „Teil einer Jugendbewegung“ zu sein, „Teil einer Arbeitsgemeinschaft“ zu sein, „Teil einer Kulturbewegung“ zu sein, zum Scheitern verurteilt waren.
Jetzt sind die süßen Früchte matschig, sie haben Würmer und neben dem alten Stamm, vielleicht zwei drei Meter vom Zaun entfernt, wächst eine junge, wilde Pflaume, mit sehr kleinen Früchten.
Ich nenne die hellrote Sorte Punk und das magere Fruchtfleisch schmeckt sehr frisch und bitter. Man hat nicht viel davon. In den ersten Jahren hab ich die Triebe immer abgeschnitten, aber das war natürlich sinnlos. Sie kommen immer wieder nach und jetzt erwische ich mich, wie ich in den heißen Sommern über den Zaun klettere und heimlich davon nasche. Die Wahrheit ist: das alles hat mir natürlich gar nichts gebracht. Ich hatte keine Wahl, es hat uns nirgendwo groß hingeführt, ich war immer zu stolz, zu rotzig, zu oberflächlich, zu verträumt, zu glücklich. Oder am Boden zerstört. Einfach nicht schnell genug, in einer schnellen Zeit.
HeyHo!